OTTO BUCHEGGER ERZÄHLT

Am Radweg von Tübingen nach Pfäffingen kommt man in Unterjesingen an einer Pappelreihe vorbei. Sie wächst direkt an der Ammer und wird von einigen Bänken geziert. Von dort hat man einen wunderschönen Blick auf die Nordseite der Wurmlinger Kapelle. Besonders angetan hat es mir die - von Tübingen kommend - erste Bank.

Sie ist weit genug von der Straße entfernt, so dass man deren Lärm kaum noch hört. Dort vernimmt man nur noch das Plätschern der Ammer, das Zwitschern der Vögel, gelegentlich das Rauschen des Windes in den Pappeln und manchmal auch etwas Motorenlärm von den Flugzeugen des nahen Poltringer Flugfeldes.

Früher hat mich deren Lärm sehr gestört, aber schon einige Jahren wurde viel Geld in die Modernisierung der Flugzeuge gesteckt. Mit guten Auspuffsystemen und vor allem leisen Propellern wurde - vielleicht auch unter dem Druck der öffentlichen Meinung der Anrainer - der Lärmpegel drastisch reduziert.

Die Bank scheint auch bei den einheimischen Jugendlichen beliebt zu sein, was ich vom Dreck der Sitzfläche schließe. Die Jugend sitzt gerne auf der Rückenlehne und hinterlässt so mit ihren Schmutzfüßen unübersehbare Spuren. Aber ich habe ohnehin meine faltbare Thermositzunterlage dabei, der Dreck stört mich nicht. Und die schönen Dinge muss man eben teilen.

Wer auf dieser Bank zum ersten Mal sitzt, kann sich schlecht vorstellen, dass der Blick zum dauerhaften Verweilen einlädt. Gewiss, der Anblick der Wurmlinger Kapelle ist erbauend und inspirierend. Aber deshalb stundenlang zu sitzen? Soviel scheint der Blick dann doch nicht herzugeben. Ich habe viel Zeit an diesem Platz verbracht und habe meine Meinung geändert. Es sind die vielen kleinen Momentaufnahmen, die mich begeistern.

Allen voran sind es die Radfahrer und Radfahrerinnen, die vorbeikommen. Vieles, was in meinen ehemaligen Radtipps steht, ist auf dieser Bank entstanden. Fußgänger sehe ich weniger, die wählen den kürzeren und abwechslungsreicheren Fußweg durch Unterjesingen.

Es sind immer nur wenige Sekunden, die Radler brauchen, um vorbeizufahren. Aber sie erzählen lange Geschichten. Manche sind gehetzt, besonders die Frauen, die häufig einige Radlängen hinter ihren Männern dreinfahren.

Ich frage mich, wie Harmonie zwischen Männern Frauen auf dem Rad entstehen kann, wenn die körperlichen Voraussetzungen so unterschiedlich sind. Es wäre doch viel angemessener, wenn Frauen mit Frauen und Männer mit Männern fahren. Natürlich schätzen manche Frauen den Windschatten der Männer, aber dazu müssten sie viel näher heranfahren. Besser wären da schon Tandems, mit dem Mann als Motor. Aber Tandems sind auch in Tübingen selten.

Oft sehe ich Väter mit ihren kleinen Kindern unterwegs. Viele Kinder lernen auf diesem Weg, der von Autos fast frei ist, das Radfahren. Auch mein kleiner Sohn hat seine erste große Ausfahrt zu dieser Bank gemacht. Das waren fast 7 km Weg, nicht schlecht für einen 4jährigen. Ich erinnere mich noch, die letzten Meter habe ich ihn mit einem Gummiband gezogen, weil wir soviel Gegenwind hatten. Um so schneller war dann die Rückfahrt.

Ich bin sehr gerne und auch sehr viel mit ihm Rad gefahren. Wir haben uns immer viel Zeit genommen und jede Schnecke, jeder Käfer am Weg wurde begutachtet. Heute ist er erwachsen und ich fahre wieder alleine.

Es sind viele Menschen alleine mit dem Rad unterwegs. Ich spüre richtig, wie viele von ihnen einfach aus dem Haus müssen, um etwas frische Luft um ihre Nase wehen zu lassen. In kleinen Gruppen fahren gerne die Rennfahrer. Vielleicht, weil sie sich bei Pannen nicht selbst helfen können? Vielleicht aber haben viele von ihnen deshalb ein Handy dabei? Ehrlich gesagt, bedaure ich die Rennfahrer. Die Feldwege sind viel zu schlecht für ihr filigranes Material und Rad fahren ausschließlich auf der Strasse, mit Hunderten von Autos? Nein, danke. Das reicht mir schon, wenn ich die Fernsehübertragungen der Tour de France anschaue. Das ist nicht meine Welt.

Bedauern tue ich auch die Mountainbiker, die mit ihrem surrendem Geräusch unterwegs sind. Ich höre es ja nur wenige Sekunden, aber sie es die ganze Zeit. Wo doch die Ruhe und Geräuschlosigkeit am Rad mit das Schönste ist! Aber sie nehmen sich ihre Lärmquelle absichtlich mit und bringen dafür noch auch freiwillig Energie auf, denn die Erzeugung von Schall kostet immer Energie. Warum? Ist es der Ersatz für Motorengeräusch und Auspuffsound?

Schön hingegen ist das Rauschen der Pappeln im Wind. Besonders, wenn man mit dem Wind die Pappelallee entlang fährt. Dann kann es vorkommen, dass man als Radfahrer Windstille spürt, aber der Wind kräftig in den Pappeln rauscht. Mich erinnert es an das Gleiten des Bootes beim Segeln mit starkem Wind, dort verspüre ich ein ähnliches Gefühl.

Aber nicht nur Radler kommen vorbei, immer mehr Inlineskater machen diese Strecke unsicher. Sie brauchen mit ihren schlingernden Handbewegungen sehr viel Platz und nicht alle machen einen glücklichen Eindruck beim Skaten. Für mich sind sie eher eine Modeerscheinung.

Ausgenommen vielleicht für Hundehalter. Denn Hunde und Inlineskater scheinen sich gut zu verstehen. Fußgänger sind zu langsam für sie und Räder viel zu schnell. Und da die Skater nicht absteigen müssen, können sie unterwegs auch ihr Lieblinge kraulen und mit ihnen spielen.

Auf den Wegen zwischen Ammer und Wurmlinger Kapelle sind immer auch einige Reiter, oder sind es Reiterinnen, unterwegs. Manchmal sehe ich auch eine Kutsche durch die Felder fahren, aber die ist meist weit weg. Auch einige charakteristische Bäume sind zu sehen.

Ich wollte vor Jahren Eichen auf diesem Gelände anpflanzen. Mein Sohn und ich haben Zuhause Setzlinge gezogen und sie dann im Ammertal ausgesetzt. Aber kein einzige Stamm ist daraus gewachsen. Das Gebiet wird einfach zu viel kultiviert, da ist kein Platz für einen kleinen Eichenhain. Aber vielleicht wird doch einmal etwas daraus und ein Bauer oder der NABU greift diese Idee auf. Ein kleines Wäldchen würde dem unteren Ammertal gut tun. 

Auch einige Jogger und Joggerinnen kommen am Wege vorbei. Sie schauen immer so gehetzt aus. Da sind mir die Schmetterlinge, die vorbei flattern, schon sympathischer. Aber warum gibt es fast nur noch Kohlweißlinge, frage ich mich. Wo sind die schönen Tagpfauenaugen, Schwalbenschwänze und die vielen anderen Falter geblieben, die ich in meiner Jugend unwissend alle gejagt habe? Ich werde sie doch nicht selbst ausgerottet haben?

Ja, das Sitzen auf dieser Bank macht nachdenklich. Zum Beispiel frage ich mich, warum mich einige wildfremde Menschen grüßen? Gehöre ich etwa schon zur Bank? Wie sich Menschen auf eine freie Bank setzen. Besitzergreifend in die Mitte oder einladend zum Rand? Wer den Papierkorb leert, der zum Segen für das nahe Umfeld dort steht?

Auf dieser Bank muss ich nicht lesen, nicht im Internet surfen, nur schauen und nachdenken. Und mir vielleicht meine kleinen Notizen machen. Ein schöner Platz im Ammertal. 

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